Die faire Saisonhochrechnung für den Tischtennissport am Beispiel der TTBL
©Tim Scheffczyk, M. Sc. VWL (Data Analyst)
Die aktuelle Corona-Krise führte in vielen Tischtennis-Ligen zur Unterbrechung des geregelten Spielbetriebes. Ob und wann ein angesetztes Punktspiel stattfinden kann, muss situationsbedingt entschieden werden. Es besteht momentan immer das Risiko, dass bestimmte Paarungen, welche eigentlich Teil des Spielplanes waren nicht stattfinden können. Dies kann dazu führen, dass manche Teams mehr und andere weniger Spiele gegen unterschiedliche Gegner absolviert haben. Zudem können durch die Quarantäne-Regelung auch einzelne Spieler an der Teilnahme am Spielbetrieb verhindert sein. Dies führt zu einer Verzerrung des Wettbewerbes. Diese Umstände erschweren die Erstellung einer regulären, unverzerrten und fairen Tabelle erheblich.
Das faire Ergebnis nicht stattgefundener Partien kann auf Basis der Q-TTR-Werte durch das Modell ermittelt werden. Die Spielstärke jedes einzelnen Spielers wird durch den Q-TTR abgebildet.
Die Verzerrung, die durch die quarantänebedingte Abwesenheit eines oder mehrerer Spieler kann durch das Modell ermittelt und herausgerechnet werden, sodass man den Ausgang einer Partie unter Mitwirkung des oder der fehlenden Spieler kalkulieren kann.
Die Basis für die Prognose bilden die (Q) TTR-Werte. Anhand der (Q) TTR-Werte lässt sich einfach ableiten wie hoch die Einzelsiegwahrscheinlichkeit von Spieler A gegen Spieler B ist. Diese Einzelsiegwahrscheinlichkeiten werden im TTR-Modell miteinander verknüpft, sodass ein Wahrscheinlichkeitsbaum entsteht, der alle möglichen Spielausgänge mit ihren entsprechenden Wahrscheinlichkeiten kalkuliert und zu einem Endergebnis aggregiert. Eine Annahme des Modell ist die stochastische Unabhängigkeit zwischen den Einzel/Doppelspielen. Dies bedeutet beispielsweise, dass der Spielstand keinen Einfluss hat auf die Kalkulation der Endergebniswahrscheinlichkeiten. Die Einzelsiegwahrscheinlichkeit von Spieler A gegen Spieler B zu gewinnen bleibt somit innerhalb eines Mannschaftswettkampfes stets konstant und es spielt keine Rolle zu welchem Zeitpunkt bzw. bei welchem Spielstand beide Spieler aufeinander treffen. Doppelspiele können ebenfalls durch das TTR-Modell berücksichtigt werden. In Ermangelung eines Doppel-TTR wird hierbei die Annahme getroffen, dass das Doppel so gut ist wie der Durchschnitt der Doppelspieler. Positive oder negative Interaktionseffekte zwischen den Doppelpartner bleiben unberücksichtigt bzw. neutralisieren sich. Das statische TTR-Modell ermöglicht es die Wahrscheinlichkeiten für die potentiellen Endergebnisse eines Mannschaftswettkampfes zu kalkulieren.
Für das TTR-Modell wird jedes Team im Basisszenario mit der bestmöglichen Aufstellung berücksichtigt. Dieses Basisszenario kann bei Bedarf an die tatsächlichen Aufstellungen angepasst werden. Das Modell berechnet die Wahrscheinlichkeiten für alle potentiellen Spielausgänge. Hierdurch ist es möglich die Wahrscheinlichkeiten für alle Endergebnisse auf Ebene der Spiele (z. B. 9:5) anzugeben. Die Wahrscheinlichkeiten für einen Heimsieg/Unentschieden/Heimniederlagen lassen sich anschließend daraus ableiten.
Eine Partie zwischen zwei gleichstarken Mannschaften führt dazu, dass für beide eine Punktzahl von einem Punkt erwartet wird (Punkterwartungswert). Dies gilt auch dann, wenn der angewandte Spielmodus (TTBL-Spielsystem) kein Unentschieden vorsieht. Auf Basis der Punkterwartungswerte ermittelt das TTR-Modell vor Saisonbeginn eine Saisonprognose. Diese Saisonprognose spiegelt auf Basis der Spielstärken der Einzelspieler in den Teams die wahrscheinlichste Endtabelle wider.
Jeder Spieltag beinhalten kleinere oder größere Überraschungen. In der Saisonhochrechnung werden alle bereits absolvierten Partien mit ihrem jeweiligen Ergebnis berücksichtigt. Überraschungsteams klettern in der Hochrechnung im Vergleich zu Saisonprognose nach oben. Teams, deren Saisonleistung hinter den Erwartungen zurückbleibt fallen auf eine schlechtere Platzierung zurück. Vollständig erwartete Favoritensiege verändern die Hochrechnung nicht, während Außenseitersiege die hochgerechnete Endtabelle zu Gunsten des Außenseiters und zu Lasten des Favoriten verändern.
Zum aktuellen Stand ist die Hinrunde der Saison 2020/21 in den meisten Ligen noch nicht beendet. Mitunter sind deutlich weniger als die Hälfte aller Spiele der Hinrunde absolviert. Noch nicht absolvierte Partien der Hinrunde sowie die komplette Rückrunde können mittels des TTR-Modells berechnet werden. Die Hochrechnung der aktuellen Tabelle berücksichtigt hierbei die Quantität und die Qualität der ausstehenden Saisonspiele jeder einzelnen Mannschaft. Ein unterdurchschnittlich gut besetztes Team erhält für Partien gegen überdurchschnittliche Teams weniger Punkte zugerechnet. Die zugeteilten Punktzahl entsprechen der durchschnittlichen Punktzahl, die ein Team aus einer bestimmten Partie bei unendlich vielen Wiederholungen erzielt. Ein Außenseiter kann immer einmal eine Partie für sich entschieden. Doch bei sehr vielen Partien wird sich der Favorit häufiger durchsetzen und damit auch mehr Punkte erhalten. Ein Außenseitersieg wird vollständig in die Hochrechnung miteinbezogen, verändert aber nicht die zugrundeliegenden Spielstärken in einer Saison. Dies bedeutet, dass ein Außenseiter auch bei einem Sieg gegen einen Favoriten für das nächste Aufeinandertreffen dieser Teams wieder als Außenseiter gehen wird. Erst wenn ein bestimmtes Team (sehr) viele Außenseitersiege verbucht, besteht Anlass die Rolle des Außenseiters zu hinterfragen und die Spielstärke ggf. anzupassen.
Anhand der TTBL sollen die Modellwerte für die aktuelle Saison 2020/21 aufgezeigt werden. Die faire Endtabelle (Tab. 2) kann hierdurch zu jedem Zeitpunkt unabhängig von den bereits absolvierten Partien bestimmt werden. Die Saisonprognose (Tab. 1) stellt die prognostizierte Tabelle vor Beginn der Saison auf Basis der QTTR-Werte dar. Die Saisonleistung (Tab. 3) wird definiert als Differenz zwischen der tatsächlichen Punktzahl und der erwarteten Punktzahl. Eine positive Saisonleistung bedeutet demnach, dass ein Team mehr Punkte erzielt hat als vom Modell erwartet wurde. Die Saisonhochrechnung (Tab. 2) stellt die Prognose der Endtabelle unter der Berücksichtigung aller bereits absolvierten Partien dar. Würde die Saison jetzt abgebrochen werden, wäre dies die "faire" Endtabelle. Für diese Saisonhochrechnung werden alle absolvierten Partien mit ihrem Endergebnis erfasst und die zukünftigen Partien nach dem bewährten Modell kalkuliert (Neu-Ulm ohne Hao Shuai).
Für die TTBL prognostiziert das Modell auf Basis der Vorrunde folgende Szenarien:
Borussia Düsseldorf kann die Spitzenposition mutmaßlich behalten. Saarbrücken wird auf Platz 3 vorrücken und neben Ochsenhausen relativ klar die Playoff-Teilnahme sichern. Zwischen Neu-Ulm und Bergneustadt wird sich ein spannender Kampf um den letzten Playoff-Platz entwickeln.
Zum Einen dient diese Tabelle als Prognose/Hochrechnung, zum anderen kann sie die faire Tabelle darstellen, wenn aufgrund der Corona-Pandemie die Saison vorzeitig beendet werden muss. Die Saisonhochrechnung berücksichtigt nicht nur die unterschiedliche Anzahl an absolvierten Spielen, sondern auch die jeweiligen Chancen auf einen Mannschaftssieg.
Die Wertung einer «eingefrorenen» Tabelle (Aktueller Tabellenstand) bei denen die Teams unterschiedlich viele Spiele absolviert haben, weist zwei entscheidende Nachteile auf. Erstens wird die unterschiedliche Anzahl an Spielen nicht berücksichtigt. Hinzu kommt noch, dass die Teams gegen Partien unterschiedlich starke Gegner absolviert haben können.
Die Quotientenregel berücksichtigt zwar die unterschiedliche Anzahl an Spielen, nicht jedoch die Qualität der Gegner. Teams mit einem schweren Restprogramm werden durch diese Regel (stark) bevorteilt. Mutmasslich würden sie ihren bisherigen Punkteschnitt nämlich nicht bis zum Ende der Saison aufrecht erhalten können.
Eine verhältnismäßig faire Lösung stellt die Wertung einer Einfach-Runde (Hinrunde) dar. Sowohl die Anzahl als auch die Qualität an Spielen ist dann für alle Teams identisch. Wenn jedoch bereits Partien der Rückrunde absolviert sein sollten, würden diese Partien keine Berücksichtigung mehr finden. Im Falle von fehlenden Partien einer Einfach-Runde gibt es keine Möglichkeit einer fairen und validen Wertung.
Die Saisonhochrechnung nach dem TTR-Modell berücksichtigt sowohl die Anzahl der Spiele, als auch die Schwere des Restprogramms der einzelnen Teams. Zudem wird jede bereits absolvierte Partie miteinbezogen. Die faire Endtabelle nach dem TTR-Modell weist im Unterschied zu den anderen diskutierten Ansätzen zu keinem Zeitpunkt eine systematische Verzerrung auf und ist daher aus statistischer Sicht eindeutig zu bevorzugen.
Anhang
Tab. 1: Saisonprognose
Tab. 2: Saisonhochrechnung (Faire Endtabelle)
*Rundungsbedingt können Teams bei gleicher Punktzahl und schlechterem Spielverhältnis besser positioniert sein. Die tatsächliche Punktzahl ist jedoch auf die Nachkommastellen höher.
Tab. 3: Saisonleistung TTBL-Saison 2020/21
Tim Scheffczyk - Autorenprofil
Weitere Informationen und Veröffentlichungen von Tim Scheffczyk findest du in seinem Autorenprofil
Tim Scheffczyk - Autorenprofil