WM-Pur, Tag 2: Wer betrügt hier eigentlich wen?
Schlägerkontrolle bei der Tischtennis WM 2017
Der Sportjournalist Jannik Schneider berichtet unter anderem für Deutschlands größte Sportseite spox.com live von der Tischtennis-WM in Düsseldorf. In seiner Kolumne WM-Pur berichtet er für Tischtennis Pur von seinen Erlebnissen rund um die erste Individual Heim-WM seit 1989 in Dortmund.
Es war die Szene des zweiten Tages der Tischtennis-Weltmeisterschaft in Düsseldorf! Für die erste Hauptrunde im Doppel am Dienstagabend traten die großen Stars der Szene das erste Mal an die Tische. Einige Weltklasse-Duos bekamen scheinbar gar nicht genug von ihren Auftritten. Die EM-Champions Jonathan Groth und Patrick Franziska lieferten sich über die volle Distanz eine erbitterte Schlacht gegen das rumänische Duo Adrian Crisan und Ovidiu Ionescu. Letzterer korrigierte beim Stand von 13:13 (!) zu Ungunsten seines Teams eigenhändig eine Schiedsrichterentscheidung. Es folgte warmer Applaus der Düsseldorfer Fans und einen Punkt später die bittere Niederlage. Karma? Fehlanzeige! Mehr Fair Play auf der allergrößten Bühne geht nicht. In der Mixed-Zone zollte Gegner Franziska seinem Kontrahenten naturgemäß allen Respekt.
Da war es bereits spät in der zum Tischtennis-Tempel umfunktionierten Haupthalle der Messe. Weit nach 22:30 Uhr und damit weit nach Andruck einer meiner Aufträge. (Zu) lange Matches, Zeitverzögerung und diese so brutal langsame Internetseite des Weltverbandes hatten mich ganz schön ins Schwitzen gebracht – ich joggte dank des nicht funktionierenden Livestreams von Halle zu Halle und fing meine Spieler ab.
Ich konnte natürlich nicht ahnen, dass am Abend ein Schiedsrichtergespann unfreiwillig im Mittelpunkt des Geschehens stehen würde, als ich mir nachmittags in charmanter Begleitung Zugang zu einer offiziellen Schlägerkontrolle verschaffte. An der könne ich teilnehmen, sofern die Identität des Spielers und seines dazugehörigen Spielers nicht preisgegeben würden. Also: Bei dem Spieler handelt es sich…
Nein, gut, das tut nichts zur Sache. Die Qualität der Schlägertests bei dieser WM aber schon. Die Diskussion war nie aktueller als in diesen Tagen. Erst vor Wochenfrist hatte Timo Boll in meinem exklusiven Doppelinterview mit Dimitrij Ovtcharov auf SPOX seine Vorwürfe an Kontrahenten und Verband erneuert. Tenor: Es gibt einige Kollegen, die treten mit illegal getunten Belägen an und der Weltverband unternimmt zu wenig dagegen.
ITTF-Präsident Weikert sah sich am Montag gar gezwungen, das deutsche Aushängeschild öffentlich etwas zurückzupfeifen. Timo sei etwas ungeduldig ließ er vermelden.
Markus Michalek, ITTF-Schiedsrichter und am gestrigen Dienstag hauptverantwortlich für die Tageskontrollen erinnerte mich im Gespräch an den eigentlichen Grund der damaligen Einführung von Schlägerkontrollen. „Das waren die Gesundheitsbedenken.“ Nachdem ich mich heimlich an pubertäre Frischklebeorgien im Verein erinnerte, musste ich ihm zustimmen. „Und in diesem Punkt sind wir eindeutig besser geworden“, sinnierte er, als er einen Schläger auf dem Tisch vor sich platzierte.
Mit den Vorwürfen Bolls konfrontiert, sagt der Unparteiische aber auch Sätze wie: „Ich kann mir schon vorstellen, dass es solche Fälle aktuell gibt. Doch als guter Unparteiische umschweifte er weitere Details zunächst gekonnt.
Umso detaillierter bröselte er das Testverfahren auf. Dicke und Ebenheit eines jeden Belags werden getestet. Für letzteres wird ein Gerät aufgesetzt. Problematisch wird es, wenn es nach oben hin ausschlägt. Wie dick darf eigentlich ein Belag maximal sein? (Michalek verriet es mir, ich Euch morgen!)
Gegen Tuning oder fachlicher ausgedrückt: Gegen das Ausdünsten organischer Lösungsmittel (giftig) gibt es nochmal ein Extragerät, das 20 Sekunden auf den Belag platziert wird. Mit UV-Licht wird ein Gas ionisiert, das so etwas messen kann. Also einiges zumindest, denn. „Wasserlöslicher Kleber zeigt es nicht an“, berichtete Michalek.
Für ihn sind es seine dritten Weltmeisterschaften. Er hat einige Schläger kontrolliert, sagte sehr ehrlich: „Es gibt vielleicht auch weitere Dinge, die nicht auffallen. Früher hat das Gerät öfter angeschlagen. Jetzt bei den neueren Belägen nicht mehr so.“
Ob er sich mehr Unterstützung wünsche, frage ich ihn zum Schluss? Boll thematisierte die privaten Initiativen, die schneller helfen wollten, als der Weltverband. „Das Gerät hat einiges gebracht, aber es kann schon noch mehr gemacht werden“, deutete er vielsagend an.
Er und seine Kollegen hatten bereits viel zu tun. Auch wenn nicht alle zur freiwilligen „Racket Control“ erschienen sind, ist ob der Quantität der Teilnehmer einiges zu bewerkstelligen. Sein Team leistet im Rahmen der Möglichkeit gute Arbeit.
Bisher sind bei der WM 2017 drei Schläger durchgefallen – bei den freiwilligen Tests. „Gibt ein Spieler seinen Schläger nicht ab oder kommt nicht zur Kontrolle 20 Minuten vor Spielbeginn, wird er nach dem Match kontrolliert“, so der Schiedsrichter. Wenn es dann schief gehe, sei ein möglicher Sieg pfutsch. Und wenn es nach Boll geht, müsste dieser Worst Case in der Realität wesentlich häufiger eintreten. Ich befürchte, dieses Thema wird älter als diese noch junge WM.