WM-Pur, Tag 4: Was man mit 13 Jahren halt so macht
Der Sportjournalist Jannik Schneider berichtet unter anderem für Deutschlands größte Sportseite spox.com live von der Tischtennis-WM in Düsseldorf. In seiner Kolumne WM-Pur berichtet er für Tischtennis Pur von seinen Erlebnissen rund um die erste Individual Heim-WM seit 1989 in Dortmund.
Was habt Ihr so im Alter von 13 Jahren getrieben? Wart Ihr produktiv? Tomokazu Harimoto hat mal eben die Nummer sechs der Weltrangliste, seinen japanischen Landsmann Jun Mizutani, in der zweiten Einzelrunde der Tischtennis-WM hier in Düsseldorf geschlagen.
Der Begriff Wunderkind geistert nicht erst seit gestern durch die Messehalle, auch bei uns im Pressezentrum wird seit Tagen ob der Chancen des bereits Weltranglisten 69. (!) philosophiert. Der Kollege vom Kölner Express etwa hat vor vier Tagen bereits eine „Favoritenschreck-Story“ zum Japaner veröffentlicht und war damit vier Tage früher dran als die meisten. Denn: Experten hatten ihm, diesem „Jahrhunderttalent“, wie ihn Dimitrij Ovtcharov dieser Tage taufte, einen derart großen Coupe noch nicht zugetraut.
Doch heute sind die Gazetten nicht nur hier in Deutschland voll mit dem Gesicht von Harimoto. „Merken Sie sich diesen Namen“, orakelte gestern der Stadionsprecher. Wobei hat das noch mit orakeln zu tun?
Laut Faktencheck eher nicht: Harimoto, der Sohn chinesischer Einwanderer, die selbst früherere (Jugend)-Nationalspieler waren, ist als Rekordebrecher bekannt.
- 2015 gewann er mit zwölf Jahren gegen zwei Top-100-Spieler
- Nach dem Sieg über Tan Ruiwu (Pos 72) qualifizierte er sich als jüngster Spieler für die Hauptrunde eines Pro-Tour-Turniers
- 2016 kam er bei den Slovenia Open bereits ins Viertelfinale
- 2016 wurde er der jüngste U-21-Champ bei den Japan Open
- Anschließend jüngster Junioren-Weltmeister
- 2017 stand er als jüngster Akteur im Finale eines Pro-Tour-Turniers
Bei den India Open war das: „Ich habe ihn im Finale brutal ernst genommen. Ich wollte nicht der erste Spieler sein, gegen der er ein Pro-Tour-Turnier gewinnt“, erinnerte sich Ovtcharov gestern an das Spiel. Er gewann 4:0. Noch.
Jun Mizutani, von Timo Boll zuletzt als bester Nichtchinese der Welt geadelt, war größtenteils chancenlos an Tisch drei der Centre-Court-Halle. Klar, dass auch ich anschließend staunend den Worten erst des Superstars und dann des Youngsters in der Mixed-Zone lauschte.
„Er war heute einfach besser. Im Training gewinne ich normalerweise. Heute habe ich nicht zu meinem Spiel gefunden“, bekannte Mizutani. Harimoto gab dann Interviews so wie er Tischtennis spielt. Konsequent. „Jedes Spiel muss erst gespielt werden. Er hatte den höheren Druck als ich. Ich konnte das nutzen“, sagte er ganz ruhig umzingelt von dutzenden Journalisten.
Das „Legendary Pair“ um Timo Boll und Ma Long, die kurz zuvor gegen das chinesische Paar Xu Xin/Fan Zhendong aus dem Doppelwettbewerb ausgeschieden waren, geriet da recht schnell in Vergessenheit. Die eigentliche Sensation war der kleine Japaner.
„Ich habe mit ungefähr vier Jahren angefangen, Tischtennis zu spielen. Seitdem habe ich immer hart gearbeitet“, wurde der Nachwuchsstar von seinem Dolmetscher übersetzt.
Nachdenklich ging ich anschließend auf die Pressetribüne zurück, wo ich später mit dem Sportdirektor des DTTB, Richard Prause, für einen Text über Förderung generell sprach. „Das System in Japan unterscheidet sich nicht groß von unserem, mit dem Unterschied, dass sie dort noch früher starten“, erklärte mir der ehemalige Bundestrainer. In Japan, wo der Stellenwert des Sports nochmal einen anderen Stellenwert hat, erfreuten sich die nationalen U-8-Wettbewerbe hoher Beliebtheit. „Da gibt es richtig sehenswerte Videos auf Youtube. Wir überlegen nun auch, noch früher mit der Sichtung und der Förderung zu beginnen.“ Nationale Meisterschaften gibt es hierzulande erst im U-14-Bereich.
Auch wenn Harimoto auch wieder so ein Fall individueller Frühförderung ist (seine Eltern planten seine Karriere sehr stringent), sind gewisse Tendenzen erkennbar. So erklärte bereits Timo Boll im Doppelinterview auf SPOX, dass die nächsten zehn Jahre nicht leicht für den DTTB werden könnten und auch Prause sieht „eine Lücke auf uns zukommen.“
Gleichzeitig hegt er aber Hoffnungen in der jetzigen Altersklasse Harimotos. Da sei man gut aufgestellt im internationalen Vergleich. Fakt ist aber: Tomokazu Harimoto spielt da außer Konkurrenz. Es ist eigentlich verrückt und nicht richtig greifbar, was da geschieht. Aber es geschieht – und es wird mich weiter beschäftigen.
Den Japaner sichtete ich abends wieder in der Trainingshalle. Dort ist er eigentlich immer anzutreffen. Ein Trainingsweltmeister ist er schon – in real wird er das noch nicht, aber gegen Liao Cheng-Ting aus Taipeh ist eh nun kein Außenseiter mehr.